„Faites nous rever – bringt uns zum Träumen“, ruft die ebenso ambitionierte wie romantische Seglernation Frankreich ihren Einhandseglern am Start hinterher und sie wissen warum: Das „Mini Transat“ ist für jeden, Amateur wie Profi, ein gewaltiges, bewegendes Abenteuer. Am 1. Oktober 2017 starteten in La Rochelle 82 Seglerinnen und Segler zur ersten Etappe der legendären Hochseeregatta. Die führt von La Rochelle nach Gran Canaria und von dort zur Karibikinsel Martinique, wo sie im Laufe des Novembers eintreffen, wenn alles gut geht. 4000 Seemeilen alleine auf einem Boot, einem Bötchen eher, von gerade mal 6,50 Meter Länge. Genial oder Wahnsinn?
Minis sind sogenannte „Open Class“ Boote, hochgejazzte Rennmaschinen und intelligent entwickelte Überlebenszellen. Maximal drei Meter breit, aber eben nur so lang wie eine größere Jolle. Komfort? Keine Einbauten, keine Küche, kein fließendes Wasser, kein WC, kein Bett, keine Sprayhood, kein Sonnenschutz. Auch kein Motor. Dafür Bootsgewichte unter einer Tonne und ein zehn Meter hoher Mast, an dem weit ausgestellte Großsegel und riesige Gennaker gefahren werden. Geschwindigkeiten zwischen 10 und 18 Knoten sind auf raumen Kursen die Regel. Aufgeschäumte Körper machen die Boote unsinkbar. Und doch schreibt das Reglement eine Sicherheitsausrüstung und Qualifikationsprozeduren für die Segler vor, die im internationalem Standard kaum übertroffen werden. Das Mini Transat wird ohne externe Hilfe gesegelt. Das heißt: Keine Satellitentelefone. Keine Kommunikation mit dem Shoreteam, mit Freunden oder Verwandten. Die einzige Verbindung ist ein Kurzwellenempfänger, über den eher schlecht als recht die Basics an Wetterinformationen empfangen werden können.
Seit 40 Jahren schon wird dieses Atlantikrennen der „Minis“ alle zwei Jahre gesegelt. Deutsche sind eher selten dabei – in all den Jahren waren es gerade einmal 14, die ins Ziel kamen. Doch jetzt sind gleich vier am Start: drei Segler und eine Seglerin aus Deutschland.
Andreas: „Ich bin unglaublich aufgeregt. Echt Jan, einfach tierisch aufgeregt. Ich lege mich jetzt erst einmal schlafen. Morgen sehen wir weiter“, sagte mir Andreas Deubel ins Telefon, nachdem er 14 Tage vor dem Start mit seinem Boot Go4It in La Rochelle eingetroffen war. Ich freute mich mit ihm, dem 39-jährigen Familienvater und Versicherungsagenten aus Hamburg. Ich konnte ihn so gut verstehen: Was ein selbstständiger Unternehmer und Familienvater an Zeit, Geld, Kompromissen und Entbehrungen einsetzen muss, um alleine den Weg bis zum Start einer solchen Regatta zu gehen, ist enorm. Und dann kommt noch die gewaltige seglerische Herausforderung dazu. Eine Atlantiküberquerung oder vergleichbare lange Passage hat Andreas zwar noch nicht gemacht. Aber er ist ein sehr erfahrener und erfolgreicher Regattasegler quasi seit Optizeiten. Und auf seinem Mini hat Andreas in den letzten vier Jahren tausende von Qualifikations- und Trainingsmeilen absolviert. Doch nun stand der Start in das große Unbekannte bevor. „Ich kann das hier nicht mehr rein sportlich sehen. Ich habe gerade ein wenig Zeit, richtig zu verstehen, auf was für ein riesiges Abenteuer ich mich da eingelassen habe. Ich werde alles geben, ohne größere Schäden durch zu segeln.“ Und nach einer Pause wurde Andreas noch nachdenklicher: „Ohne das Verständnis meiner Familie wäre das nicht möglich gewesen. Die nächsten Jahre gehören meiner Frau und natürlich meinen beiden Kindern. Ich hoffe ich enttäusche sie nicht und komme heil wieder zurück.“
Lina: Etwas unbekümmerter hörte sich da schon Lina Rixgens an, die Medizinstudentin aus Köln, die ihr Studium für ein Semester unterbrochen hatte und zur Vorbereitung aufs Rennen mit einem gesponsorten Boot nach La Rochelle gezogen war. Sie hat verschiedene Kaderstationen und IRC Hochseeregatten in Ihrer Vita. Eine Atlantiküberquerung auf einem traditionellen Zweimastschoner hatte in ihr den Wunsch geweckt, über das Mini Transat einen Einstieg in das internationale Hochseesegeln zu versuchen. „Ich wollte wieder dort raus aufs Meer, aber nun im Rahmen einer Regatta! Und da mich die französische Einhand-Szene schon seit langem faszinierte, war das der logische Schritt. Zwei Jahre in der Classe Mini sind einfach der klassische Einstieg und eine gute Schule, um ein erfolgreicher Offshore Segler zu werden“, sagte sie mir ohne große Aufregung in der Stimme. An Gelassenheit und Mut fehlt es Lina wahrlich nicht. Und sollte kein Materialschaden sie aufhalten, wird sie diesen Winter die erste deutsche Frau sein, die das Mini Transat überstanden hat.
Oliver: Der 44-jährige IT-Consultant Oliver Tesslov aus Hamburg ist, ähnlich wie Andreas und Lina, ein sehr erfahrener Regattasegler, vor allem auf Jollen. Und ähnlich wie Lina ist Oliver zur Vorbereitung seines Mini Transats für viele Monate nach Frankreich an die Atlantikküste gezogen und hat dort unter den französischen Spitzenseglern trainiert. Sein Boot vom Typ Pogo 3 gehört zur neuesten Generation. Als ich vor einem Jahr in Lorient mit einem bekannten französischen Mini-Segler über die deutschen Teilnehmer sprach, sagte dieser über Oliver: „Oli Tesslov? Der Typ ist vollkommen angefixt! Er trainiert wie verrückt und will immer noch schneller werden.“ Und Olis Ergebnisse auf den Qualifikationsregatten haben in der Tat aufhorchen lassen. Da kommt einer, der mit seinen Fähigkeiten und einem Top-Boot ganz weit vorne angreifen kann. „Ein Schlüsselmoment war in meiner zweijährigen Vorbereitung eine Nacht auf See in 30 Knoten Wind, in der ich ohne Sorge mit zwei Reffs im Groß und unter Sturmgennaker mit 15 Knoten durch die Dunkelheit geschossen bin. Da habe ich mir gedacht, ok – ich glaube, jetzt kann das Mini Transat kommen!“
Jörg: Während Andreas, Lina und Oli als Amateure in der Serienboot-Wertung an den Start gehen, ist Jörg Riechers, der 47-jährige Segelprofi aus Hamburg, ein echter Titelaspirant für das Rennen. Wo sein Name im Zusammenhang mit einer Mini-Regatta fällt, zucken selbst die französischen Stars zusammen. Jörg segelt Mini Rennen seit 2008, hat ein Mini Transat als fünfter beendet und ein weiteres, wegen struktureller Schäden am Boot, bereits vor der spanischen Atlantikküste aufgeben müssen. Er hat auf verschiedenen Mini-Prototypen mittlerweile über 20.000 Seemeilen Erfahrung gesammelt. Jörg ist in dieses Transatjahr geplatzt, wie ein Hase aus dem Hut: Keiner hat ihn kommen sehen, sein Boot ist die jüngste Neuentwicklung der Flotte – über das Budget für so ein Sportgerät sollte man lieber schweigen. Wäre da nicht ein gewisser Franzose namens Ian Lipinski, Gewinner des letzten Mini Transat im Jahr 2015 sowie Gewinner sämtlicher Qualifikationsregatten der vergangenen zwei Jahre, wäre wohl der Weg für Jörg frei. Nun hört man selbst einen Profi wie Jörg sagen, dass „alles andere als ein Sieg für Lipinski schon fast unfair wäre.“ Ich bin mir sicher, dass diese beiden Segler uns einen aufregenden Kampf an der Spitze der Flotte bieten werden.
So ist das Mini Transat. Profis und Amateure in einem Feld. Junge und ältere Segler. Frauen und Männer und Segler aus rund einem Duzend Nationen. Teuerste Kampagnen von Vollzeitprofis gegen zusammengesparte Budgets der Amateure. Und am Ende das alles und alle verbindende große Abenteuer, auf einer spartanischen 6,50m Rennmaschine allein einen Ozean zu überqueren. Lina, Andreas, Oli, Jörg: Mast und Schotbruch! Und bringt uns zum Träumen…
Jan Heinze
Über Jan Heinze
Der Unternehmer aus Hamburg, Fahrtensegler seit Kindesbeinen, ist viele Jahre im Mini Zirkus gesegelt und hat sein Boot „Lonestar“ auf dem Mini Transat 2015 trotz einer schweren Havarie mitten auf dem Atlantik ins Ziel gesegelt. Über seine Jahre in dieser Seglerszene und seine besondere Reise über den Ozean hat er das Buch „Atlantikfieber – ein Mann, ein Boot, ein Ziel“ geschrieben. Er hält seitdem Vorträge über Motivation und Sinn solcher Abenteuer, wenn er nicht gerade selber eine neue Unternehmung auf See plant.